Bildverarbeitung

Was steckt dahinter?

Querschnittsbilder von semi-transparenten Materialien – berührungslos und zerstörungsfrei

21.12.2015 -

Ob bei Spritzguss-, Extrusions- oder generativen Fertigungsverfahren, innovative Produkte mit neuen Materialeigenschaften durch den Einsatz von Verbünden oder Strukturen stellen etablierte Prüfverfahren immer wieder auf die Probe. In vielen Fällen ist eine Prüfung der inneren Strukturen und Schichten nicht möglich, ohne die Materialien dabei zu beschädigen. Jetzt wurde ein Sensor entwickelt, der eine zerstörungsfreie Prüfung von Schichtdicken, Schichtlagen, Strukturen und Defekten ermöglicht, und das berührungslos und hochauflösend.

Die industrietauglichen Bildgebungssysteme der Mabri.Vision, eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT, können ähnlich wie eine klassische Machine-Vision-Kamera in bereits bestehende Prozesse eingebunden werden. Aber entgegen der klassischen Kameratechnik erfasst das Bildgebungssystem eine Bildebene, die um 90° vertikal zur Prüfobjektoberfläche geneigt ist. In Bruchteilen einer Sekunde scannt das System die Probe ab und generiert unmittelbar ein tomographisches Querschnittsbild (Abb. 1). Ähnlich der industriellen Röntgen-Computertomographie (ICT) können über ein Abscannen des Messobjekts dreidimensionale Volumendaten generiert werden (Abb. 2). Insbesondere durch den strahlungsfreien, echtzeitfähigen und hochauflösenden Messprozess bietet das Verfahren eine Vielzahl an Vorteilen gegenüber einer ICT und lässt sich zur Qualitätssicherung und Prozessoptimierung einsetzen. Kleinste Toleranzabweichungen lassen sich so zuverlässig detektieren.
Das Messverfahren eignet sich mit einem Tiefenmessbereich von bis zu 10 mm auch für die Prüfung dickwandiger Kunststoffprodukte, wie Spritzgussteile oder extrudierte Rohre und Schläuche. Schichten und Strukturen lassen sich so in einem einzigen Schritt erfassen, ohne den Messbereich durchstimmen zu müssen. Je nach Konfiguration und eingesetzter Vergrößerung (1,5-fach bis 10-fach) reicht das Sichtfeld des Sensors von 4,5 x 4,5 mm bis zu 30 x 30 mm. Das Messverfahren ermöglicht bei der Darstellung von inneren Struktureffekten eine Auflösung bis zu 4 μm und ist an die Kohärenzlänge der eingesetzten Lichtquelle gekoppelt. Diese untere Grenze bestimmt auch die minimale Schichtdicke, die noch dargestellt werden kann. Bei der Erfassung von Schichtdicken wird in Abhängigkeit von der Oberflächenbeschaffenheit und dem Strahldurchmesser über einen Gewichtungsalgorithmus eine Messunsicherheit von 0,1 μm erreicht.

Das Messverfahren
Das Messverfahren basiert auf der optischen Kohärenztomographie OCT, das insbesondere im Bereich der zerstörungsfreien Diagnostik in der Augenheilkunde eingesetzt wird, um über die Darstellung von Beschaffenheit und Struktur der Retina eine Diagnose stellen zu können. Ähnlich dem klassischen Ansatz des Michelson-Interferometers beruht das Verfahren auf einer Überlagerung von Lichtstrahlen, die von einer Referenz und einem Messobjekt reflektiert werden. Als Lichtquellen kommen meist spektral breite Superlumineszenzdioden (SLDs) oder durchgestimmte Laser (Swept-Source-Laser) zum Einsatz, die ihr Licht im NIR-Spektralbereich emittieren. Je größer der Laufzeitunterschied der Photonen von Referenz und reflektierender Ebene im Messobjekt ist, desto größer ist auch die Modulationsfrequenz des Spektrums. Diese Modulationen bilden den Schlüssel der OCT-Technologie und werden spektral entweder von hochauflösenden Spektrometern oder Photodioden erfasst und anschließend ausgewertet. Über eine digitale Verarbeitung der gewonnenen Spektrometerdaten erfolgt die Rekonstruktion der Tiefeninformationen im tomographischen Querschnittsbild.

Detektion von Multilagen und Mikrostrukturen
Durch das modulare Design aus kompakten optischen Sensoren zur 1D-, 2D- oder 3D-Datenerfassung und einer separaten Detektionseinheit erreicht das Bildgebungssystem eine maximale Flexibilität bei der Integration in schwer zugängliche Prozesse und bestehende Prüfanlagen. Der Sensor ist so konzipiert, dass für bestimmte Anwendungen ein maximaler Arbeitsabstand von 100 mm erreicht werden kann. Mit Messgeschwindigkeiten von 30.000 bis 140.000 Messungen pro Sekunde kann auch bei Produktionsprozessen mit hohen Durchsätzen eine hohe Messpunktdichte erreicht werden. Für den Einsatz in industriellen Prüfprozessen ist die tomographische Bildgebung direkt an eine Bildverarbeitung gekoppelt. Entsprechend der Anwendungen können beispielsweise Schichtdicken von Einzellagen oder Multilagen, Strukturen oder Defekte erkannt und ausgewertet werden. Mabri.Vision ist dabei auf die Entwicklung von Algorithmen spezialisiert, welche die unterschiedlichen Reflexionsund Streueigenschaften der Schichtmaterialien bei OCT-Messdaten automatisch auswerten und darstellen. Für eine intuitive Bedienung in einer Produktionsumgebung oder in einem Prüflabor bietet die Software eine anschauliche Darstellung der Messergebnisse (Abb. 3) und kann über Softwareschnittstellen in bestehende Anlagen und Datensysteme integriert werden.

Qualitätssicherung und Inline-Prüfung
Die Technologie bietet für Spritzgussprozesse die Möglichkeit, über eine schnelle zerstörungsfreie Wandstärkenprüfung am Kunststoffteil Verformungen von Formwerkzeugen zu quantifizieren. Zylinderversatz und Formschwankungen können so geprüft und minimiert werden. Durch das robuste interferometrische Detektionsprinzip stellen raue oder glänzende Oberflächen keine Herausforderung dar. Insbesondere bei steilen Flanken bietet das hochsensitive Detektionsverfahren einen ausreichenden Dynamikbereich, um beispielsweise Vorbauoptiken aus Silikon geometrisch zu charakterisieren. Weiter lassen sich raue und matte Oberflächen, wie Lederimitate aus der Automobilindustrie, topographisch erfassen.
In der Fertigung von Produkten mit hohen Ansprüchen an Qualität und Toleranzen, wie etwa in der Medizintechnik, ist das Verfahren ideal für die Prüfung von Rohren, Schläuchen oder Präzisionsbauteilen geeignet. Neben Kunststoffen sind zur Prüfung Materialien wie etwa Keramiken, Halbleiter oder Glas geeignet, die im nahinfraroten Spektralbereich semi-transparent sind.
Mit einem großen Tiefenmessbereich von bis zu 10 mm ist das tomographische Bildgebungssystem in der Lage, Spritzgussteile und extrudierte Produkte mit einem Multilagenschichtaufbau zu prüfen. Insbesondere können Barriereschichten aus EVOH oder anderen Materialien ab einer Materialstärke von 10 μm detektiert und ausgewertet werden. Gegenüber anderen Prüfverfahren zeichnet sich das System dadurch aus, dass auch Schichtdicke und Lage bestimmt werden können. Barriereschichten werden in Kunststoffverbünden eingesetzt, um eine Diffusion von Gasen, Dämpfen oder Gerüchen signifikant zu reduzieren. Insbesondere bei Verpackungen von Lebensmitteln und pharmazeutischen Produkten gilt es, die Sauerstoff- und Wasserdampfdurchlässigkeit zu minimieren, um so den Barriereeigenschaften von Verpackungen aus Glas oder Metall möglichst nahe zu kommen. Der Einsatzbereich des Bildgebungssystems reicht hier von der Qualitätssicherung bis zur Inline-Prüfung zur Prozessoptimierung. Mit den Schlüsselmerkmalen einer zerstörungsfreien, berührungslosen und hochauflösenden Querschnittsbildgebung bietet das System eine innovative Technologie zur Offline- und Inline-Qualitätsprüfung von Schichten und Strukturen.

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